Ehrenbürgerwürde in Leipzig nur für Männer? Frauen machen zwölf eigene Vorschläge

In fast 200 Jahren hat die Stadt Leipzig nur eine Frau zur Ehrenbürgerin ernannt. Frauenvereine wollen, dass sich dieser Missstand ändert. Ein Jahr lang haben sie jeden Monat eine neue würdige Kandidatin vorgeschlagen – bislang ohne Erfolg.

Erst einmal hat eine Frau die höchste Auszeichnung bekommen, die die Stadt Leipzig vergeben kann – die Ehrenbürgerwürde. Seit 1832 wurde sie verliehen, anfangs nahezu jährlich, aber immer nur an Männer. Fast 200 Jahre dauerte es, bis mit Channa Gildoni eine Frau Leipziger Ehrenbürgerin wurde.

„Nichtachtung der Leistungen von Frauen“

Ungerecht findet das die Arbeitsgemeinschaft (AG) Frauenprojekte – und ist in die Offensive gegangen. „Die städtische Nichtachtung der unzähligen hervorragenden Leistungen von Frauen ist erschütternd“, sagt Christine Rietzke vom Verein Frauenkultur, einem von 14 Mitgliedsvereinen, die in der Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen sind. Dieser Missstand müsse endlich korrigiert werden.

Jeden Monat eine neue Kandidatin

Damit niemand sagen kann, es liegt am Mangel an Kandidatinnen, hat die AG seit Anfang 2023 jeden Monat eine Frau vorgeschlagen. „All diese Frauen stehen stellvertretend für viele andere“, betont Christine Rietzke. Sie seien Vorbilder, oder um im heutigen Sprachgebrauch zu bleiben, positive Role Models. Zwölf Namen liegen dem Referat Protokoll und Oberbürgermeister Burkhard Jung vor. Passiert ist bislang absolut nichts.

„Es gab keine Resonanz, nur eine Eingangsbestätigung“, so Rietzke.

Ausstellung mit allen Kandidatinnen

Dennoch: Die Frauenvereine geben nicht auf, wollen andere motivieren, ebenfalls Kandidatinnen vorzuschlagen. Alle bislang genannten Frauen werden bis Mitte März in einer Ausstellung beim Verein Frauenkultur in der Windscheidstraße vorgestellt. Zur Eröffnung waren aus dem Leipziger Rathaus auch der Ältestenrat, das Referat Protokoll und der Oberbürgermeister eingeladen, aber niemand hat sich gemeldet.

Wie ist der Weg zur Leipziger Ehrenbürgerwürde?

Vorschläge können von jeder natürlichen oder juristischen Person, von Verbänden oder sonstigen Vereinigungen eingereicht werden. In Leipzig werden im Durchschnitt ein bis zwei Vorschläge pro Jahr gemacht. 2022 waren es vier Vorschläge, 2023 insgesamt elf. Bedingung ist, dass die Person noch lebt und sich „in herausragender Weise um Mitmenschen, um das Gemeinwohl, um die Stadt Leipzig, ihr Ansehen oder ihre Entwicklung verdient gemacht“ hat.

Im Idealfall läuft es so: Der Oberbürgermeister redet über konkrete Namen vertraulich mit dem Ältestenrat, der aus Vertretern aller Fraktionen und der Verwaltung besteht. Gibt es dort breite Zustimmung, geht der Vorschlag in den Stadtrat, wo er eine Zwei-Drittel-Mehrheit finden muss. „Die Hürden sind bei der höchsten Auszeichnung der Stadt Leipzig hoch und der Abwägungsprozess ist aufwendig“, so eine Sprecherin der Stadtverwaltung.

Seit 1832 wurden 90 Ehrenbürger ernannt, sechs von ihnen wurde die Würde nach 1990 wieder aberkannt. Nach der Wende wurde der Titel an Kurt Masur, Erich Loest, Hinrich Lehmann-Grube, Hans Mayer, Friedrich Magirius und Channa Gildoni verliehen. Davon ist nur Magirius, der „Versöhner von Leipzig“, noch am Leben.

Ist die Ehrenbürgerwürde noch zeitgemäß?

„Die Frauen sind auf jeden Fall alle ehrenwürdig“, findet Grünen-Stadträtin Katharina Krefft. Sie glaubt nicht, dass es an den falschen Namen oder am falschen Zeitpunkt liegt, dass die Vorschläge der Frauen bislang keine Beachtung fanden. Nur müsse sich jemand darum kümmern. Eine Deadline, in welchem Zeitrahmen über Vorschläge geredet werden muss, gibt es laut Krefft nicht. Mal abgesehen davon sitzen im Ältestenrat nur Männer – erst auf der Liste der Vertreterinnen stehen auch Frauen.

Ist die Ehrenbürgerwürde überhaupt noch zeitgemäß? Ja, findet Katharina Krefft. „Es sollten ehrenvolle Persönlichkeiten sein, die noch vor der Stadtgesellschaft sprechen können, auf die man hört, die Zusammenhalt vermitteln und den Rücken stärken können, so wie am Sonntag auf der Demo ,Zusammen gegen rechts’“.

Diese Frauen sind als Ehrenbürgerinnen vorgeschlagen

Zu den Vorgeschlagenen gehört Bürgerrechtlerin Gisela Kallenbach, die sich schon in der DDR angesichts der verheerenden Umweltverschmutzung für Umweltschutz engagierte und die Friedensgebete in der Nikolaikirche mitgestaltete.

Ebenfalls auf der Liste steht Beate Schücking, erste Rektorin in der mehr als 600-jährigen Geschichte der Leipziger Universität. In ihrer Amtszeit (2011 bis 2022) stieg die Frauenquote bei Professuren auf 27 Prozent. Bevor sie nach Leipzig kam, forschte Schücking zur Geburtshilfe und zur Gesundheit von Mutter und Kind.

Eine weitere Kandidatin ist die Leipziger Rechtsmedizinerin Ulrike Böhm, die sich um den Schutz von Frauen und Kindern kümmert, die Opfer von häuslicher Gewalt, Stalking oder Vergewaltigung geworden sind.

Verdienstvolle Frauen gab es auch in der Vergangenheit

Auch in der Leipziger Vergangenheit gab es immer Frauen, die Großartiges geleistet haben: Die Ärztin Ruth Pfau kümmerte sich um Leprakranke in Pakistan und sorgte mit dafür, dass diese Krankheit in Pakistan als erstem Land in Südasien unter Kontrolle gebracht wurde. Die Leipziger Ehe- und Sexualberaterin Lykke Aresin setzte sich schon zu DDR-Zeiten für die Rechte von Homosexuellen und Trans-Personen ein. Die Pianistin und Komponistin Clara Schumann wurde mit 37 Jahren Witwe und versorgte ihre sieben Kinder alleine, neben ihrer Konzerttätigkeit.